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An der Brücke zwischen Heinrichsreith und Stálky
6. Juli 2013

 

Absolute Metaphern nennt der deutsche Philosoph Hans Blumenberg  solche Metaphern, die man  nicht  einfach ersetzen kann, zu denen bzw. für die  es keine wörtliche Übersetzung gibt.  Wir sprechen übrigens  viel mehr in Metaphern, als uns das je bewusst ist.  Die Metapher ist bekanntlich selbst eine Metapher, sie bringt etwas von einem Ort zum Anderen. Metaphoroi steht auf den griechischen Lastwägen, die Speditionen gehören. Die Metapher ist eine Brücke, das Medium eines Transports- vom einen zum anderen. Insofern illustrieren Metaphern nicht etwas, das sprachlich in anderer Form schon zuvor vorhanden wäre. Sie konstituieren also selbst höchst kreativ und innovativ neue Sinnzusammenhänge. Paul Ricœur, ein anderer, französischer Philosoph sprich auch von den lebendigen Metaphern.
Die Brücke, nicht zuletzt auch in der Geschichte von Avantgarden eine beliebte Sprachformel, ist eine solche Metapher, die auf paradoxe Weise auf  Verbindung und Trennung zugleich verweist. Sie setzt nämlich strukturell betrachtet eine Trennung voraus und strebt auf die Verbindung der beiden getrennten Räume, Elemente, Menschen und Kulturen zu. Im Englischen spricht von to bridge the gap, vom Überbrücken einer Leerstelle. Das Englische macht aus dem Substantivum sogleich ein Verbum, eine Tätigkeit. Der heute in vielen Weltgegenden anachronistische Fährmann, der dich von einer Welt in die andere bringt, ist eine solche Figur der Überwindung der durch den Fluss geschaffenen Grenze.. In der griechischen Mythologie ist es bekanntlich Charon, der die Menschen ins Totenreich hinüberbringt. Noch Böcklin in verschiedenen Versionen vorhandene Bild Die Toteninsel hält die Magie dieser Metapher fest.
Unmetaphorisch bezeichnet die Brücke eben einen festen Übergang, der auf beiden getrennten Seiten, die durch ein Hindernis, Wasser und Steilheit,  getrennt sind, einen Fluss, ein Tal oder eine Schlucht, eine Verankerung hat. Was dazwischen liegt, gehört nirgendwohin. So generiert die Brücke auf doppelte Weise ein Drittes, sich selbst und was, die beiden Räume trennend, unter ihr liegt. Unter ihr liegen auch die jeweiligen Ufer, die Ränder des Hindernisses.
Wir brauchen Brücken und alle Arten von Übergängen, weil wir Grenzen benötigen. Grenzen definieren sich dadurch, dass sie Räume strukturieren und gestalten. Sie sind Hindernis und Einladung zugleich. Die Brücke ist die Einladung, die Grenze zu überschreiten. In einem kleinen Lob der Grenze wäre hervorzuheben, dass Grenzen etwas durchaus Positives haben: Sie schaffen persönlich wie kollektiv eine Form von schützender Distanz, die wir zum Leben benötigen. Absoluter Grenzenlosigkeit, die keiner Brücken mehr bedarf, wohnt ein Moment des Totalitären inne sowie die Grenze, die keine Öffnung und keinen Übergang kennt, ebenfalls zum Totalitären und Autoritären tendiert. Ohne Brücken und Übergänge, ohne Türen und Öffnungen, mutiert der soziale Raum zum Gefängnis.
In  allgemeinen sind Brücken keine Aufenthaltsorte, ihre Funktion ähnelt dem, was der französische Anthropologe Marc Augé als  Nicht-Orte bezeichnet hat. Sie sind nicht selbst Orte im emphatischen Sinn, eben weil sie Mittel sind, Orte oder Räume, Teile, miteinander zu verbinden. Brücken  sind relational – dass man sich auf einer Brücke trifft, wie im Roman des serbischen Autors Ivo Andriæ ist eher eine eigenwillige Ausnahme, vielleicht auch die Idee eines Dichters, der bei aller Parteinahme für eine Versöhnung von christlichen und muslimischen Bosniern eintrat. In einer hermetischen indischen Überlieferung wird Jesus selbst als eine Brücke bezeichnet, als  ein verbindendes Element, auf dem man sich nicht dauerhaft niederlassen kann. Das Leben des frühen Christen ist ein Provisorium, ein Übergang- er hat keine Heimat auf dieser Erde. Das Leben, das eine Brücke ist, hat kein Ziel in sich, sondern verweist auf eine Heimat, die im Jenseits der Ewigkeit angesiedelt ist.
So hat die Brücke, die kleine wie die große, eine ziemlich präzise zeitliche Dimension. Der Aufenthalt auf ihr dauert exakt so lange, wie wir zur Überquerung benötigen. Insofern ist sie, mit ihr stets verbunden, ein Teil des Phänomens des Weges und der Straße, die der russische Kulturtheoretiker Michail Bachtin als Chronotopos bezeichnet hat, als ein Phänomen, das Raum und Zeit untrennbar miteinander verbindet.
Brücken sind Menschenwerk, sie können einstürzen und zusammenbrechen. Ihre Ausmaße sind beschränkt, indes nicht absolut; wie die Geschichte der Ingenieurskunst zeigt, können sie zwei Teile einer Stadt und zwei Kontinente miteinander verbinden, so wie im Falle der Stadt Istanbul, dem Byzantion der Antike und dem Konstantinopel griechisch-römischer Zeit. Auch die Golden Gate in San Francisco ist von atemberaubender erhabener Schönheit und steht hier für die Fähigkeit des Menschen, natürliche Hindernisse und Teilungen zu überwinden.
Die Grenzen, die Brücken überwinden, sind freilich nie einfach nur natürlich gegeben. Es gibt Grenzen und Hindernisse, weil der Menschen Grenzen setzen will und dabei häufig auf natürliche Gegebenheiten  ausnutzt, Pässe und Flüsse, Gebirgsketten und Talsohlen.
Die kleine Brücke zwischen Stalky und Heinrichsreith ist so unscheinbar und was sie trennte, war  sogar  mehrere Jahrhunderte kaum von Belang.  So werden natürliche Räume und die sie strukturierenden Räume symbolisch aufgeladen. In den mehr als vier Jahrzehnten des „realen Sozialismus“ war sie unpassierbar so wie die große Thayabrücke in Hardegg.  Heute ist sie ein Erinnerungsstück geworden, hoffentlich auf beiden Seiten dieser Brücke.
Vielleicht gibt es dort, wo die Brücke metaphorisch verwendet wird, einen Bedeutungsüberschuss. So wie man, im mystischen wie in ästhetischen Diskursen gerne betont, dass der Weg sich am Ende  als das Ziel selbst erweist, so hat heute die Brücke einen durchaus pathetisch guten Ruf. Sie steht für eine menschliche Möglichkeit der Offenheit und einer Beweglichkeit ein. Und diese Offenheit ist die Grundbedingung der Möglichkeit für eine Grenzüberschreitung, die nicht eine Verletzung der Grenze des Anderen ist. Sie steht für ein ethisches Tun, das seinen Wert in sich selbst trägt.
Wenn nun also ein Verein aus Znaim/Znojmo dieser Brücke wiederherstellt, die eigentlich gar keine praktische oder soziale Funktion mehr besitzt, so verändert sich diese Brücke, dieser von der Natur überwachsene , für viele Jahre unbegehbar gewordene Übergang, der uns an die Vergänglichkeit aller menschlichen Konstrukte erinnert.  Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand, heißt es in einem anrührenden deutschen Gedicht aus dem 19. Jahrhundert. Brücken können einstürzen und von diesem Tatbestand wird wohl, auf lange Zeiten gerechnet, keine Brücke dieser Welt verschont bleiben.
Diese kleine wiederhergestellte Brücke ist ein Erinnerungsort, der zwischen der Zeit, in der die kleine Brücke errichtet wurde, und jenem 21. Jahrhundert gleichsam hin- und herpendelt, das mit dem Angst- und Versprechensformel der Globalisierung begonnen hat. Als symbolische Brücke kann sie indes nur funktionieren, wenn die Menschen beidseits der durch sie verbundenen und zugleich getrennten Räume eine gemeinsame Sprache finden. Das Erzählen, das literarische vor allem, lässt sich auch als ein kommunikativer Übergang, als eine Brücke begreifen. Jan Skácel hat ihr ein höchst verzwicktes Gedicht gewidmet:


Der Fisch der über die Brücke geht.
Und wie musik beenden oder ein gedicht
Ohne eine kleine menschliche lüge
Wenn´s eine schöne behauptung ist
Daß wahrheit über die brücke geht wie der fisch
Und aus welchen ziegeln werden wir die kleine brücke mauern
wo das  eselchen uns stehlen gegen morgen
das rosa eselchen auf daß es schreit
und die sonne begrüßt
Herrn Mozarts winzig kleine nachtmusik
und noch etwas dazu
so nah den kindern den ach so verzweifelten
so nah dem fisch der über die brücke ging



Vielleicht ist auch Mozart über diese Brücke gefahren, auf seiner Reise nach Prag ....

 

O. Babùrek a W. Müller-Funk

Oldøich Babùrek
und
Wolfgang Müller-Funk



 


Text: Wolfgang Müller-Funk
Gedicht:
Jan Skácel, wundklee. Ins deutsche übertragen von Reiner Kunze, Frankfurt/Main: Fischer 1982
Foto: Karel Jakl

   
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